Daten – das Öl des 21. Jahrhunderts

Daten – das Öl des 21. Jahrhunderts

Auszug aus Justus Haucap »Macht, Markt und Wettbewerb«, Seite 5–13

Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts, wird manchmal gesagt. Erstmalig soll Clive Humby, britischer Mathematiker und Entwickler der Kundenkarte der britischen Supermarktkette Tesco, diese Analogie vor mehr als zehn Jahren, nämlich 2006, gezogen haben. Was aber ist damit genau gemeint? Warum erfreut sich dieser Vergleich einer so hohen Beliebtheit, dass er selbst von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel – wenn auch leicht abgewandelt – verwendet wurde?

Kern der Analogie sind zwei Beobachtungen: Erstens entwickeln sich Daten immer mehr zum wichtigsten Innovationstreiber unserer Wirtschaft und zu einem essenziellen Rohstoff, ohne den eine wettbewerbsfähige Produktion von Gütern und Dienstleistungen zumindest in manchen Branchen kaum mehr möglich ist. Ähnlich wie die Erfindung des Automobils die Transport- und Mobilitätskosten im 20. Jahrhundert enorm reduziert und so einen erheblichen Strukturwandel in vielen Bereichen ausgelöst hat, so wird eine vergleichbare Wirkung nun von datengetriebenen Geschäftsmodellen im 21. Jahrhundert erwartet.

Zweitens ist der Vergleich von Öl und Daten als Schmierstoff der Wirtschaft vielleicht auch deshalb so beliebt, weil die sogenannten GAFAM-Unternehmen, also Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft, heute die fünf wertvollsten Unternehmen der Welt sind und die großen Mineralölkonzerne in dieser Position abgelöst haben. Noch vor zehn Jahren sah die Top-5-Liste der Unternehmen mit der höchsten Börsenkapitalisierung so aus: ExxonMobil, PetroChina, Gazprom, PetroBras und ChinaMobile – mit Ausnahme von ChinaMobile alles Unternehmen aus der Öl- und Gasbranche.

»Die Gründer von Google, Amazon und Facebook wären somit die Rockefellers des 21. Jahrhunderts.«

Die naheliegende Erklärung für die hohe Marktkapitalisierung der GAFAM-Unternehmen ist die Erwartung der Märkte, dass diese Unternehmen sehr hohe Gewinnpotenziale haben. Solche Gewinnerwartungen könnten darauf beruhen, dass die Anleger davon ausgehen, dass diese Unternehmen erhebliche Macht über die Märkte besitzen, auf denen sie aktiv sind, oder diese Macht zumindest erreichen werden. Teilweise wird auch von einer dezidierten »Datenmacht« dieser Unternehmen gesprochen. Dahinter steht die Annahme, dass aus dem privilegierten Zugang zu Daten beziehungsweise dem Besitz bestimmter Daten Marktmacht erwachsen kann und dass diese Unternehmen durch ihren Datenschatz einen fast uneinholbaren Wettbewerbsvorteil besitzen, sofern nicht konkurrierende Anbieter Zugang zu denselben oder funktionsäquivalenten Daten bekommen können. Die Gründer von Google (Larry Page und Sergey Brin), Amazon (Jeff Bezos) und Facebook (Marc Zuckerberg) wären somit die Rockefellers des 21. Jahrhunderts.

Gleichwohl unterscheiden sich Öl und Daten in ihrer Funktion für die wirtschaftliche Wertschöpfung auch erheblich. Während Öl eine erschöpfbare Ressource ist, die durch Nutzung verbraucht wird, sind Daten eben keine erschöpfbare Ressource, und sie werden auch ge- statt verbraucht. Die Flut an Daten ist schier unendlich, und die Nutzung von Daten durch einen Anwender schließt prinzipiell – anders als beim Öl – erst einmal nicht aus, dass auch andere die Daten nutzen. Diese Unterschiede sollten die Macht der Unternehmen im Falle von Daten automatisch begrenzen, anders als eben bei Ölreserven, die sich prinzipiell viel besser monopolisieren lassen als Daten.

Dennoch stellt sich die Frage, wie die Giganten der Internetökonomie mit ihren beziehungsweise unseren Daten umgehen sollen. Bundeskanzlerin Merkel hat im Mai 2018 auf dem Global Solutions Summit in Berlin in einer für sie untypisch drastischen Weise sogar davon gesprochen, dass das »zentrale Gerechtigkeitsproblem der Zukunft« darin bestehe, wie die Gewinne aus der Datenökonomie aufgeteilt würden.

Um beurteilen zu können, welche Regeln für die Datenökonomie gelten sollten, müssen wir auch verstehen, was mit den Daten überhaupt gemacht wird und gemacht werden kann. Es gibt eine Vielzahl spannender und innovativer Produkte, Produktionsprozesse und Geschäftsmodelle, die auf der intelligenten Analyse und Nutzung großer Datenmengen basieren, aber auch sehr unterschiedlich sind. Diese Geschäftsmodelle sollen im Folgenden kurz skizziert werden.

Der Einsatz von Daten in Produktionsprozessen

Dass die Auswertung großer Datenmengen für Produktions- und Logistikprozesse enorme Effizienzpotenziale bietet, ist eigentlich offensichtlich. Ein illustratives Beispiel ist der mit dem Schlagwort Landwirtschaft 4.0 verbundene technische Fortschritt. Durch die auf Quadratzentimeter genaue Auswertung von Daten über Beschaffenheit und Zustand von Böden und Saaten kann in Kombination mit immer präziseren Wetterdaten die Produktivität in der Landwirtschaft enorm gesteigert werden. Saaten können viel genauer ausgebracht werden, und vor allem können Düngemittel und Pflanzenschutzmittel viel sparsamer verwendet werden, was auch entsprechende Umweltvorteile mit sich bringt. Eine echte Win-win-Situation also: Umwelt und Landwirtschaft profitieren – angesichts der notwendigen Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung ist dieser datengetriebene technische Fortschritt geradezu ein Segen. Dass sich in diesem Kontext im agrochemischen Bereich Unternehmen wie Bayer mit großer Pflanzenschutzexpertise und Monsanto als Weltmarktführer im Bereich Saatgut und digitale Landwirtschaft zusammentun, ist im Übrigen gerade aus deutscher Perspektive zu begrüßen. Eine bessere Abstimmung bei der Entwicklung von Saatgutsorten einerseits und Pflanzenschutzmitteln andererseits bietet enorme Chancen. Treiber dieser Entwicklungen sind letztlich die besseren Möglichkeiten der Datenerhebung und Datenauswertung.

Im produzierenden Gewerbe und auch im Dienstleistungsbereich sind, je nach Branche, ganz ähnliche Effizienzsteigerungen möglich. Betriebsabläufe können durch die Auswertung großer Datenmengen besser kontrolliert, Fehler und Reibungsverluste erkannt und Prozesse optimiert werden. So sind beispielsweise bei sämtlichen Logistikprozessen enorme Effizienzvorteile möglich, indem Logistikketten durch Auswertung von Daten immer weiter optimiert werden. Staus sind besser prognostizierbar und alternative Fahrtrouten leichter ermittelbar, wie selbst der Laie dank Google Maps und anderen Navigationssystemen weiß. Aber auch die Zusammenstellung von Ladungen – das Logistik-Tetris sozusagen – und die Planung von Transportwegen und der Einsatz unterschiedlicher Transportmittel lassen sich mithilfe von Big Data Analytics optimieren. Bei diesen datenbasierten Optimierungen gibt es klare Größenvorteile: Je größer das Frachtvolumen ist, das optimiert werden kann, desto eher gibt es passende Puzzlestücke und desto effizienter ist das Ergebnis. Anders ausgedrückt bedarf es einer Mindestgröße von Logistikunternehmen oder aber unternehmensübergreifender Kooperationen, um Effizienzpotenziale möglichst auszuschöpfen. Perspektivisch sind ähnliche Effizienzpotenziale auch für den Personenverkehr und somit den gesamten Mobilitätssektor denkbar, wenn Bedarfe erkannt und Beförderungskapazitäten besser und vor allem passgenauer genutzt werden. Neue datengestützte Angebote wie Carsharing, Ridesharing und Bikesharing unterstützen diesen Trend. Die zur Ausnutzung dieser Effizienzpotenziale erforderliche Koordination wird über Unternehmensgrenzen hinweg oft von sogenannten Plattformen übernommen, die sowohl im B2B-Bereich (Business-to-Business) als auch im B2C-Bereich (Business- to-Consumer) und im P2P-Bereich (Peer-to-Peer) zunehmend an Bedeutung gewinnen und charakteristisch für viele Teile der Datenökonomie sind.

Das Entstehen der Plattformökonomie

Sogenannte Plattformen, die in der ökonomischen Fachsprache etwas unpräzise auch als »mehrseitige Märkte« bezeichnet werden, haben durch die Digitalisierung enorm an Bedeutung gewonnen. Kern des Geschäfts einer Plattform ist es, zwei oder mehr Marktseiten zusammenzubringen, das heißt, die Dienstleistung von Plattformen besteht in einer Vermittlung von zwei (oder noch mehr) Nutzergruppen aneinander. Das Geschäftsmodell basiert also nicht darauf, selbst Dinge zu produzieren und dann zu verkaufen wie etwa im produzierenden Gewerbe. Es geht auch nicht darum, selbst Dienstleistungen zu erstellen und dann anzubieten wie etwa im Handwerk. Und das Geschäft besteht auch nicht darin, Dinge einzukaufen und wieder zu verkaufen wie im klassischen Handel. Vielmehr besteht die Dienstleistung der Plattformen in einer Vermittlungsleistung. So bringen etwa eBay oder Amazon Marketplace potenzielle Käufer und Verkäufer im Internet zusammen. Im Prinzip ist das nicht neu. Auch Betreiber von Malls, Einkaufs- und Outlet-Zentren oder Organisatoren von Messen und Märkten bringen Käufer und Verkäufer zusammen. Ebenso bringen Preisvergleichsplattformen wie Verivox und Check24 Anbieter und Nachfrager zusammen, sie fungieren als digitale Makler. HRS, Expedia und Booking bringen Reisende und Anbieter von Hotelzimmern zusammen wie ehemals die städtische Zimmervermittlung. Die modernen Fremdenzimmervermittlungen heißen Airbnb, Wimdu oder 9flats, die digitalen Mitfahrzentralen Uber und BlaBlaCar, die digitale Taxizentrale, die Fahrgäste an Fahrer vermittelt, MyTaxi oder taxi.eu. Die Kleinanzeigen in Tageszeitungen, egal ob für Jobs, Autos, Immobilien oder auch Lebens(abschnitts)partner, sind durch entsprechende Internetportale ebenso abgelöst worden wie die Schwarzen Bretter in den lokalen Supermärkten. Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Auch wenn die Vermittlung von Anbietern und Nachfragern, von Suchenden und Gesuchten eigentlich gar kein neues Phänomen ist, so nehmen Plattformen in der digitalen Welt doch eine andere Dimension ein. Warum ist das so?

»Die Kleinanzeigen in Tageszeitungen, egal ob für Jobs, Autos, Immobilien oder auch Lebens(abschnitts)partner, sind durch entsprechende Internetportale ebenso abgelöst worden wie die Schwarzen Bretter in den lokalen Supermärkten.«

Zur Erklärung müssen wir etwas ausholen: Charakteristisch für Vermittlungsplattformen sind sogenannte Netzwerkeffekte, wobei Ökonomen zwischen direkten und indirekten Netzeffekten unterscheiden: Direkte Netzeffekte entstehen direkt dadurch, dass sich mehr andere Nutzer (derselben Art) einem Netz oder einem Dienst anschließen. Das klassische Beispiel für direkte Netzeffekte war immer das Telefonnetz. Je mehr »Teilnehmer« es gab, desto nützlicher ist ein Telefonanschluss auch für alle anderen. Ein neueres, wenngleich heute auch schon altes Beispiel ist die E-Mail. War E-Mail-Verkehr Anfang der 1990er Jahre noch etwas für Computerfreaks und Wissenschaftler, wurde der E-Mail-Dienst immer interessanter, je mehr andere auch per E-Mail zu erreichen waren. Kommunikationsplattformen und soziale Netzwerke wie Skype, Twitter, WhatsApp, Instagram, Snapchat und Facebook stiften jedem ganz direkt einen umso höheren Nutzen, je mehr andere Teilnehmer des jeweiligen Dienstes existieren.

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