Fair Pay & Gleichstellung

Fair Pay & Gleichstellung

Auszug aus Henrike von Platen »Über Geld spricht man«, Seite 7–14

Über Geld spricht man nicht, man hat es, wie alle wissen. Es bleibt meist ein Geheimnis, wie viel wir mit unserer Arbeit verdienen. Wir behalten lieber für uns, wie viel wir geerbt oder gespart haben. Und wir erzählen nur selten, wie viel wir ausgeben, für Häuser oder Autos, welche Anlagestrategie wir verfolgen oder ob wir überhaupt eine haben. Kurzum: Wir schweigen, sobald es ums Geld geht. Ganz unabhängig davon, ob es um Verluste oder um Gewinne geht, sind Finanzen als Thema verpönt. Gerade in Deutschland, und häufig auch im Freundeskreis und in der Familie.

Wir hauen unser Geld auf den Kopf, wir legen etwas auf die hohe Kante oder wir lassen es springen. Manchmal regnet es sogar welches, oder wir verdienen eine ganze Stange davon. Geld stinkt nicht, sagen wir, und es ist erstaunlich, wie viele Namen es für eine Sache gibt, über die wir so ungern sprechen: Kies, Knatter, Knete, Kohle, Kröten, Lappen, Mäuse, Moneten, Moos, Penunsen, Pinkepinke, Schotter, Tacken, Zaster. Doch ganz gleich, wie wir den schnöden Mammon nennen, glücklich macht er angeblich nicht. Die Google-Suche vervollständigt den Satz »Geld ist …« wahlweise mit »nicht alles im Leben«, »nur Papier« oder »nicht wichtig«. Wer Geld gut findet, macht sich suspekt. Wer damit protzt, sowieso, und nobel ist es schon mal gar nicht: Margrethe von Dänemark, die sich nicht scheut, immer und überall dem Tabakkonsum zu frönen, trägt niemals Geld bei sich. Das Bezahlen überlässt die dänische Königin lieber ihren Hofdamen. Wer »geldgeil« ist, ist ohne Moral, hat keine Werte und besitzt vielleicht ein Vermögen, aber ganz bestimmt keinen Anstand.

»Es ist verblüffend, wie selten an dieser Stelle einen Schritt weitergedacht wird. Es braucht Mut zu sagen: Geld ist mir wichtig. Dabei gibt es viele sehr gute Gründe, ein anderes Verhältnis zum Geld zu entwickeln.«

Dabei regiert Geld bekanntlich die Welt. Geld ist Macht. Geld ist Zeit. Und umgekehrt. Es ist verblüffend, wie selten an dieser Stelle einen Schritt weitergedacht wird. Es braucht Mut zu sagen: Geld ist mir wichtig. Dabei gibt es viele sehr gute Gründe, ein anderes Verhältnis zum Geld zu entwickeln. Was immer Geld sonst ist, es ist vor allem ein Tauschmittel. Geld schafft Freiräume. Geld eröffnet Möglichkeiten. Vor allem aber schenkt Geld Unabhängigkeit. Bislang allerdings vor allem Männern.

Der große kleine Unterschied

Noch immer verdienen Männer signifikant mehr Geld als Frauen, und zwar überall auf der Welt. In Deutschland stagniert die Lohnlücke seit einigen Jahren bei 21 Prozent. Im letzten Jahrzehnt hat sie sich um nur zwei Prozentpunkte geschlossen. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, dauert es – je nach Berechnung – noch ungefähr hundert Jahre, bis die Lohnlücke beseitigt ist, und mehrere hundert Jahre bis zur vollständigen Gleichstellung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt.

Entschieden zu lang. Denn der Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen hat weitreichende Folgen. Wer weniger verdient, hat nicht nur monatlich weniger Einkommen zur Verfügung, sondern kann auch weniger ansparen oder investieren, um für das Alter vorzusorgen, für die Ausbildung von Kindern, oder um Vermögen zu bilden. Frauen verfügen im Durchschnitt über ein halb so hohes Einkommen wie Männer: Der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen summiert sich in Deutschland über das gesamte Berufsleben hinweg vom Einstieg bis zur Rente auf insgesamt 49,8 Prozent.

Von der Lohnlücke zur Rentenlücke

Frauen arbeiten weniger und bekommen für ihre Arbeit weniger Geld. Für diese schon viel zu lange andauernde Schieflage gibt es verschiedene Ursachen: Bis heute übernehmen Frauen beruflich weniger Verantwortung, sie werden seltener befördert und gehen seltener in Führung. Oft wählen sie schlechter bezahlte Berufe in weniger lukrativen Branchen, arbeiten sehr viel häufiger in Teilzeit und setzen meist sehr viel länger aus, wenn Kinder kommen oder Angehörige Pflege brauchen. Auf offene Stellen bewerben sie sich erst, wenn sie 120 Prozent der Anforderungen erfüllen. Und während Männer eher nach Potenzial eingestuft werden, werden Frauen tendenziell nach erbrachter Leistung bezahlt. Sie verhandeln anders und ihre Forderungen werden seltener erfüllt: Nehmen fordernde Männer ihr Gegenüber mit ihrer Durchsetzungsstärke für sich ein, gelten fordernde Frauen als unsympathisch. Dies alles schlägt sich im Gehalt nieder.

»Nehmen fordernde Männer ihr Gegenüber mit ihrer Durchsetzungsstärke für sich ein, gelten fordernde Frauen als unsympathisch. Dies alles schlägt sich im Gehalt nieder.«

Mit fatalen Folgen für die finanzielle Situation der Frauen, bis hin zur mickrigen Rente. Die vom Berufseinstieg bis zur Rente erworbenen Pensionsansprüche münden am Ende in eine Rentenlücke von 53 Prozent. Wirtschaftliche Unabhängigkeit sieht anders aus.

Wie absurd die Verhältnisse sind, wird deutlich, wenn wir sie gedanklich einmal umkehren, wie es der Spielehersteller Hasbro im Herbst 2019 tat, als er Monopoly neu erfand. Seit das Brettspiel 1933 erstmals auf den Markt kam, gab es die unterschiedlichsten Editionen des Klassikers. Ob Banking, Weltreise, Fußball, Star Wars oder Pummeleinhörner – in der Geschichte des Brettspielklassikers gibt es kaum etwas, was es nicht gab. Nur eines blieb, egal unter welcher Überschrift, immer gleich: Alle Spielerinnen und Spieler starteten mit dem gleichen Geldbetrag, alle erhielten beim Zug über Los die gleiche Summe, und alle zahlten im Spielverlauf die gleichen Preise. Beim Monopoly-Spielen herrschte verlässlich Chancengleichheit: Es galten für alle die gleichen Regeln.

Dann kam Ms Monopoly auf den Markt. Schon bevor das Spiel überhaupt losgeht, bekommen die weiblichen Mitspielerinnen 400 Dollar mehr Startkapital als ihre männlichen Mitspieler. Gehen sie über »Los«, bekommen sie ebenfalls 40 Dollar mehr. Zu kaufen gibt es nicht die Schlossallee oder die Badstraße, sondern Erfindungen von Frauen, darunter den von Melitta Bentz erfundenen Kaffeefilter, die drahtlose WLAN-Technologie, zu der Hedy Lamarr die Idee hatte, außerdem Eismaschinen, Geschirrspüler und Scheibenwischer. Gebaut werden keine Häuser, es werden Geschäfte gegründet. Und vom Cover des Spiels grinst uns die Nichte von Mr. Monopoly an. Konsequent werden Frauen sichtbar gemacht, sie werden gewürdigt und sie werden bevorzugt. Was selbstverständlich nicht heißt, dass Männer nicht auch mitspielen dürfen. Und natürlich können sie auch gewinnen. Sie müssen sich eben bloß ein bisschen mehr anstrengen.

Absurderweise wird erst in der radikalen Umkehrung der Verhältnisse deutlich, wie ungerecht es in der realen Wirtschaftswelt tatsächlich zugeht: Auch im echten Leben gibt es mehr Geld, mehr Anerkennung und bessere Chancen, ohne die geringste Anstrengung – nur sind diese Privilegien im echten Leben überwiegend Männern vorbehalten. Natürlich gibt es auch Frauen, denen der rote Teppich ausgerollt wird, und Männer, die vergeblich nach einem solchen Ausschau halten, aber sie sind statistisch sehr viel seltener. Die vollkommen unfaire Ms Monopoly ist unter umgekehrten Vorzeichen bittere Realität: Selbstverständlich können Frauen in der Arbeitswelt mitspielen und gewinnen – sie müssen sich eben nur ein bisschen mehr anstrengen. Lägen die Regeln überall so offen zutage wie hier, würde so manche Frau (und vielleicht auch der ein oder andere Mann) gar nicht erst mitspielen – oder sehr bald das Handtuch werfen.

Zu Recht! Denn Ms Monopoly erfüllt eine wichtige Voraussetzung, die im echten Wirtschaftsleben sträflich vernachlässigt wird, aber sehr viel verändern könnte: Es geht absolut transparent zu. Alle kennen die Spielregeln, und alle wissen, wie unfair es zugeht. Niemand gibt sich der Illusion hin, dass auch nur ansatzweise Chancengleichheit herrschen könnte.

Unsichtbare Privilegien 

Anders als im echten Arbeitsleben, wo die allermeisten Menschen davon ausgehen, dass selbstverständlich alle die gleichen Chancen haben. Denn fatalerweise ist die Ungleichbehandlung zwar statistisch messbar, im Einzelfall bleibt sie jedoch oftmals unsichtbar. Hinter den Kulissen geht es in der realen Wirtschaftswelt oft ähnlich unfair zu wie bei Ms Monopoly: Bei Einstellungen, Beförderungen und Gehaltserhöhungen wird nicht nur die weibliche Hälfte der Bevölkerung übergangen. Auch Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderungen, Menschen mit einer anderen Religion oder Sexualität werden im Stillen übergangen und stoßen an gläserne Decken. Und Frauen können oft nur mutmaßen, ob sie genauso viel Geld verdienen wie ihre männlichen Teamkollegen. Die Lohnlücke lässt sich an der Statistik ablesen, aber ungerechte Bezahlung bleibt für die Betroffenen oft eine vage Vermutung.

Das Perfide: Anders als die unterprivilegierten männlichen Mitstreiter bei Ms Monopoly können Frauen in der Arbeitswelt selten auf offen zutage liegende Unfairness verweisen. Stattdessen wird von ihnen erwartet, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Ist doch schließlich jede ihres eigenen Glückes Schmiedin, heißt es dann. Sollen sie sich bessere Jobs aussuchen, und besser verhandeln lernen kann frau ja schließlich auch!

Genauso wie die reale Diskriminierung von Frauen und anderen bleiben auch die Privilegien der Männer meist unsichtbar – besonders für die Privilegierten selbst. Von alleine wird sich daran nur wenig ändern, und es dürfte sehr lange dauern, wenn die Dinge sich selbst überlassen bleiben. Natürlich gibt niemand gern Privilegien auf. Doch es gibt viel zu gewinnen – und zwar für alle. Und wir alle können sehr viel mehr tun, als uns während der Wartezeit ab und an mit einer Runde Ms Monopoly die Zeit zu vertreiben. Dieses Buch lesen, zum Beispiel, und anfangen, über Geld zu sprechen.

Chancengleichheit für alle als Chance für alle

Transparenz ist der erste und wichtigste Schritt zu fairer Bezahlung. Das muss nicht zwangsläufig heißen, sämtliche Gehälter offenzulegen. Aber es bedeutet, dass alle nach den gleichen Regeln spielen, dass zweitens alle diese Regeln kennen (und verstehen!) und dass drittens dafür gesorgt wird, dass die Regeln von allen eingehalten werden. Im Grunde genau wie beim Fußball.

Ob Sport, Spiel oder Berufsleben: Fair kann es erst zugehen, wenn alle die gleichen Chancen haben. Und dazu braucht es ein transparentes Regelwerk. Erst wenn wir über Geld sprechen, können wir einschätzen, ob wir zu wenig verdienen oder im Gegenteil sehr gut bezahlt werden. Wo es fair zugeht, können Unterschiede in der Bezahlung leicht erklärt und akzeptiert werden. Wo für alle die gleichen Regeln gelten, entsteht echte Chancengleichheit, für alle Menschen.

Ein niedriger Gender Pay Gap geht in den allermeisten Fällen noch mit anderen Gleichstellungsindikatoren einher: In Unternehmen, die fair bezahlen, finden sich meist überdurchschnittlich viele Frauen in Führung, Führungskräfte, die in Teilzeit arbeiten, Väter, die länger als zwei Monate in Elternzeit gehen. Es werden Jobsharing-Modelle angeboten und die Möglichkeit, im Home-Office zu arbeiten. Anders gesagt: Gerechte Bezahlung ist die messbare Spitze des Gleichstellungseisbergs. Am Ende macht sich das für alle bezahlt, für die Unternehmen, für die Beschäftigten und für die ganze Gesellschaft. Kein Wunder, dass sich eigentlich längst alle einig sind: Die Lohnlücke muss weg, und zwar schnell!

»Gerechte Bezahlung ist die messbare Spitze des Gleichstellungseisbergs.«

Gleiches Einkommen ist der Schlüssel zur Gleichstellung. Anders als gläserne Decken und die vielen anderen unsichtbaren Hürden, denen nicht nur Frauen im Beruf begegnen, lässt sich faire Bezahlung sehr gut messen – und exakt am Stundenlohn ablesen.

Wie kann es also sein, dass der Einkommensunterschied von 21 Prozent bei uns seit Jahren wie in Stein gemeißelt scheint? Weshalb rangiert ausgerechnet Deutschland, wo es bezahlte Elternzeiten, ein Entgelttransparenzgesetz und gesetzliche Geschlechterquoten gibt, im internationalen Vergleich noch immer so weit hinten? Wie kommt es, dass es in Deutschland noch immer ein Tabu ist, über Geld zu sprechen? Was können Unternehmen, was kann jede und jeder Einzelne tun, damit es endlich schneller vorangeht mit der Chancengleichheit für alle? Und wie real ist eigentlich die schöne neue Arbeitswelt, von der immer alle reden?